Öffentliche Bauten Rathaus mit Wasserturm und Feuerwache, Rathausplatz 1
Baujahr 1910–14
Architekt Heinz Stoffregen
Rathausanlage: »Das Gebäudeensemble der Rathausanlage Delmenhorst wurde 1908 von dem Bremer Architekten Heinz Stoffregen entworfen. Der Gebäudekomplex besteht aus dem Wasserturm (1910), der ehemaligen Feuerwache (1912), dem eigentlichen Rathausgebäude (1914), dem Ehrenmal (1925) und der Markthalle (1920), die bis 1955 durch einen Arkadengang mit dem Rathaus verbunden war. Im Architekturwettbewerb für den Neubau eines Rathauses und die Neugestaltung des Marktplatzes in Delmenhorst wurde der Entwurf des Bremer Architekten Heinz Stoffregen unter 51 Einsendungen zur Realisierung ausgewählt. Die Delmenhorster Rathausanlage genießt einen sehr hohen denkmalpflegerischen Wert, weit über die Region hinaus.
Wasserturm: Der sachlich modern gestaltete Turmbau ist 44m hoch und trägt in seinem Inneren einen 500m3 großen genieteten Stahlspeicher, der bei vollem Füllstand somit 500 Tonnen Gewicht in den Kopf des Wasserturms bringt. Der architektonische Entwurf ist schlicht und klar gegliedert, ohne die große Anzahl an Schmuckelementen der gerade vergangenen Stilepochen. Wuchtig und massiv steht der Wasserturm, seit Jahrzehnten ein Delmenhorster Wahrzeichen, auch mehr als 100 Jahre später fest im Zentrum der Stadt. Erst im Januar 2011 wurde er seiner ursprünglichen technischen Funktion für die Wasserversorgung ›entledigt‹ und der Wasserspeicher stillgelegt. Heute dient der Turm nach wie vor als Aussichtsturm und gelegentlich für Installationen und Projekte als außergewöhnlicher Kunstraum.
Ehemaliges Spritzenhaus: Neben dem Wasserturm wurde für die Freiwillige Feuerwehr Delmenhorst ein neues Spritzenhaus mit hohem Ziegeldach errichtet. Die Ausfahrten wurden arkadenartig mit gemauerten und verputzten Rundbögen gestaltet und erhielten zweiflügelige Holztore. Auf der Straßenseite am Wasserturm wurde der sogenannte Steigergiebel, ein mit Backsteinmauerwerk und arkadenartigen Öffnungen gestalteter „Übungsturm“ für die Feuerwehr errichtet, die hier mit Hakenleitern das schnelle Besteigen von Hausgiebeln erlernen konnte. Heute sind in dem Gebäudeteil das Stadtarchiv und der Personalservice untergebracht. Zwischen dem Spritzenhaus und dem danebenliegenden Rathaus wurde ein Arkadengang gebaut, der noch erhalten ist und als Bindeglied zwischen den Baukörpern fungiert. Der Arkadengang ist mit wuchtigen, verputzten Pfeilern und Kreuzgewölben gestaltet worden. Der Muschelkalk-Putz ist filigran strukturiert und mit einigen wenigen, zurückhaltend dimensionierten Kalksteinelementen geschmückt.
Rathaus: Für den damaligen Zeitgeschmack hatte Stoffregen für die Rathausanlage einen äußerst modernen Bau entworfen, der ordnend auf die umliegenden Plätze wirkt. Der mit Muschelkalk verputzte Backsteinbau mit hohem ziegelroten Dach und spitzen Giebeln über den mittig angeordneten Eingangsportalen ist mit Kalkstein-Ornamenten verziert. Die Tierfries-Einfassung der Eingangstür, die figürlichen Atlantendarstellungen in den Pfeilern des Mittelrisalits und die Stoffregen-Büste am Hauptportal stammen vom Bremer Bildhauer Ernst von Wachold. Herausragend ist auch das Innere des Rathauses, hier insbesondere der große Ratssaal mit seinen bleiverglasten Fenstern, der rötlich lasierten Holzvertäfelung und dem Messingleuchter im stuckverzierten Tonnengewölbe. Aber auch die vielen Details im Treppenhaus und den Fluren sind sehr sehenswert. Stoffregen entwarf außerdem das gesamte Interieur und die Ausstattung des Rathauses: Schreibtische, Schränke, Ledersessel, Holzbänke, selbst Lampen, Papierkörbe und Heizkörperverkleidungen. Das Stoffregen-Mobiliar des Trauzimmers im Rathaus ist ebenso original erhalten wie Tische und Stühle aus dem großen Sitzungssaal, die u.a. im Rathaus immer noch genutzt werden. Das Rathaus wurde 1914 fertiggestellt, ab Juni zogen die Behörden ein, am 10. September 1914 tagte der Gesamtstadtrat erstmals im repräsentativen Ratssaal.
Markthalle: Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Arbeiten an der Rathausanlage erst 1919 wieder aufgenommen. Als Rundbau für eine Markthalle stellt der Stoffregen-Entwurf eine Besonderheit in der Gestaltung dar. Der Bau wurde durch einen Arkadengang mit dem Rathaus verbunden und 1920 fertig gestellt. 1955 wurde dieser Teil aber wieder abgebrochen. Seit Jahren setzt sich ein Verein für die Rekonstruktion dieser Arkaden ein. Der Rat der Stadt hat den originalgetreuen Wiederaufbau beschlossen, jedoch nur mit privaten Geldern und Spenden. Die Markthalle wurde als massive Klinker-Rotunde mit hoher filigran verglaster Laterne konzipiert. Der Lichteinfall über diese Laterne stellt ein besonderes Erlebnis dar. Die Markthalle wird heute nach einer aufwändigen Rekonstruktion als kleines Veranstaltungszentrum gut genutzt. Der Bau ist, wie die gesamte Rathausanlage, ein bedeutsames Zeichen seiner Entstehungszeit. Der Bauentwurf besticht durch seine eigenwillige und ausdrucksstarke Form und ist in Norddeutschland einzigartig.«
Oldenburgische Landschaft (Hg.): Baudenkmäler im Oldenburger Land. Wilhelmshaven 2017. S. 104-106
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